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Etwas ist faul im Staate Frankreich…

April 23, 2012

Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich sorgte für einige Furore. Zwar lag der Sozialist Hollande vor dem Amtsinhaber Sarkozy, jedoch knapper als Vorhersagen prognostizierten. So erhielt der Herausforderer etwa 28,5% der Stimmen, der Verteidiger circa 27%. Die extremistischen Kandidaten konnten damit den beiden Hauptakteuren gut Wasser abgraben. Der kommunistische Mélenchon begeisterte über ein Zehntel der Wähler, Marine Le Pen sogar sagenhafte 18%. Damit konnte Sarkozy nicht seinen Amtsbonus nutzen. Es wird deutlich, dass die bisherige Politik immer deutlicher in Missgunst fällt. Speziell die Wirtschafts- und Bildungspolitik bereitet der Republik Sorgen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt seit fast zehn Jahren zwischen 20 und 25%. 2011 lag die Gesamtarbeitslosenquote bei den Franzosen nahezu bei 10%. Die Bundesrepublik Deutschland liegt mit etwas über 7% deutlich darunter. So verwunderte es nicht, dass der amtierende Präsident mit den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen des Nachbars auf Stimmenfang gehen wollte. Doch die Vorbehalte gegen die Deutschen sind groß. Das Konkurrenzdenken zwischen den beiden inzwischen partnerschaftlich verbundenen Staaten ist enorm. Die Nähe zu Merkel geriet damit wohl zum Malus statt des erhofften Bonus.

Im Kern ist jedoch eine Anpassung an das deutsche Modell langfristig kaum aufzuschieben. Zunächst muss das Bildungswesen saniert werden. Das Karrieremodell in Frankreich ist, gelinde gesagt, antiquiert. Es herrscht ein intensiv ausgeprägter Elitedenken vor. Die Einheitsschulen, in denen Kinder eines Bezirkes bis zur neunten Klasse unabhängig ihrer sozialen Herkunft zusammen unterrichtet werden sollen, schufen eine breite Masse mit niedrigem Niveau. Die privilegierteren Bürger hingegen umgehen diese Pflicht, die sich im „Carte Scolaire“ manifestiert, indem sie ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Auch die weiterführenden Schulen bis hin zu den Universitäten glänzen durch Massenabfertigung anstelle von Qualität. Hohe Abbrecherquoten bezeugen die katastrophalen Verhältnisse. Die Absolventen hingegen hängen meist in einer Schleife von Praktika und Arbeitssuche. Wiederum profitiert dabei die obere Schicht, die leichteren Zugang zu den Eliteeinrichtungen findet, wodurch die Arbeitsplatzsuche kaum Schwierigkeiten bereitet. Die angestrebte Gleichheit des Bildungssystems führt zu einer Polarisation der Gesellschaft und bewirkt dementsprechend das Gegenteil des proklamierten Zieles. Ergebnis ist eine frustrierte Jugend, die kaum eine andere Wahl hat, als ihre Stimme den Extremisten anzuvertrauen.

Zusätzlich wird die Problematik durch die angespannte wirtschaftliche Situation verstärkt. Frankreich ist nicht wettbewerbsfähig genug. Hohe soziale Wahlgeschenke drücken die Lohnstückkosten nach oben. Hierfür gibt es zahlreiche Gründe. Zunächst wirkt sich ein hoher Mindestlohn negativ aus. Dieser ist überwiegend durch Politik, nicht aber durch Rationalität bestimmt. Er ist also von der Produktivität abgekoppelt. Die hohen Arbeitnehmerschutzgesetze hemmen Neueinstellungen und verhindern eine flexible Anpassung an den Markt. Unternehmen agieren durch die hohen Kosten für Arbeiter und deren lange Bindung an das Unternehmen zurückhaltend. Gut ausgebildete und erfahrene Arbeitsuchende werden bevorzugt, junge Menschen blicken sprichwörtlich in die Röhre. Die Anhebung des Renteneintrittsalter um zwei Jahre auf das Alter von 62 wurde von massiven Protesten begleitet. Eine weitere Reform scheint folglich kaum durchsetzbar zu sein, obwohl sie notwendig ist. Auch Frankreichs Rentensystem basiert auf einem Umlageverfahren. Das vergleichsweise kurze Arbeitsleben kostet somit entsprechend, was sich durch die Rentenbeiträge bemerkbar macht.

Darüber hinaus ist der Aspekt des hohen staatlichen Engagements in der Wirtschaft nicht zu vernachlässigen. Zum einen agiert der Staat selbst unternehmerisch, zum anderen versucht er Großunternehmen zu stärken. Es wurden regelrechte Monopolstellungen erarbeitet. Diese senken den Fortschritt durch Wettbewerb. Konsequenzen sind unter anderem veraltete Unternehmensstrukturen, die relativ zentralistisch geprägt sind. Die Ertragsrate der großen französischen Unternehmen ist im internationalen Vergleich bescheiden. Das Wachstum gestaltet sich darauf aufbauend ebenfalls unzureichend.

Diese negativen Faktoren wurden früher überwiegend durch die Abwertung der Währung kompensiert. Der Beitritt zur Eurozone hätte also ebenfalls zu drastischen wie auch unpopulären Reformen führen müssen, die jedoch vernachlässigt worden waren. Die Auswirkungen sind, wie bereits erwähnt, ein zementierter Arbeitsmarkt, hohe Arbeitslosigkeit, mangelnde Innovationsfähigkeit und daraus entstehender Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.

Eine Lösungsstrategie bedarf allerdings nicht der extremistischen Einstellungen eines Mélenchon oder einer Le Pen, die bereits eine Annäherung an den Merkantilismus forderte, um in protektionistischer Manier die französische Wirtschaft zu stärken. Die extreme Linke wiederum möchte sich dem angestrebten Sparkurs widersetzen. Das bedeutet letztendlich eine Fortführung der Politik der sozialen Geschenke.

Kernelement zukünftiger Politik muss eine Liberalisierung und Haushaltskonsolidierung sein. Die Wirtschaft bedarf einer Privatisierung und Impulse durch flexiblere Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, um so den Arbeitsmarkt dynamischer zu gestalten. Französische Unternehmen müssen an den Wettbewerb herangeführt und nicht davon isoliert werden.

Die Präsidentschaftswahl drückt Frust aus. Sie ist Gradmesser für eine lange Fehlpolitik auf wesentlichen Ebenen der Gesellschaft. Leider äußert sich die Unzufriedenheit in der Belohnung beziehungsweise der Bevorzugung politischer Akteure, welche weiterhin eine Politik betreiben wollen, die erst die derzeitige Lage Frankreichs hervorbrachte. Nach der Wahl wird vor der Wahl sein, unabhängig wer gewinnen wird. Ob Vernunft regieren wird, bleibt fraglich.

From → Gesellschaft, Politik

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